Hartmetall-Stäbe im Gühring-Werk

„Hart wie Stahl“, diese Redewendung hört man oft. Tatsächlich ist Stahl aber ein eher weiches Material – verglichen mit Hartmetall. Dieser Verbundwerkstoff aus Wolframkarbid und Kobalt ist nicht nur die Basis für hochwertige Zerspanungswerkzeuge, sondern findet sich zum Beispiel auch in den Spitzen von Kugelschreibern oder zerkleinert als Messer Kakaobohnen in Schokoladenmanufakturen. Als einer der großen Hartmetall-Hersteller der Welt vereint Gühring in seinem Werk in Berlin Tradition und Innovation. Was Hartmetall als Werkstoff so besonders macht und welche Trends die Hartmetallherstellung aktuell beschäftigen, erzählt Dr. Arnim Eckert, der bei Gühring die Forschung und Entwicklung im Bereich Hartmetall leitet.

Gühring ist in seiner Kernkompetenz Werkzeughersteller. Warum produziert das Unternehmen auch Hartmetall?

Als Dr. Jörg Gühring sich vor 35 Jahren für den Aufbau einer eigenen Hartmetallfertigung entschloss, hatte er bereits erkannt, welche Bedeutung das Hartmetall haben würde – und das, obwohl das Unternehmen damals noch überwiegend Werkzeuge aus Schnellarbeitsstahl herstellte. Damals steckte das Hartmetall noch in den Kinderschuhen. Trotzdem hat er entschieden, dass sich die Hartmetallherstellung nicht auf den Bedarf für die eigenen Zerspanungswerkzeuge beschränken, sondern von Anfang an auch andere Bereiche bedienen sollte. Ich denke, damals hatte er vor allem die Vorteile im Blick, die sich aus einer Diversifizierung heraus ergeben. Doch viele unserer Kunden kaufen auch deshalb Hartmetall von Gühring, weil sie die Lieferantenvielfalt möglichst begrenzen und alles aus einer Hand haben wollen. Eine eigene Hartmetallherstellung bietet also sowohl uns als auch unseren Kunden Vorteile.

Der Rohstoff als Hartmetall-Knetmasse.

Der Rohstoff wird als Hartmetall-Knetmasse verarbeitet.

Wie hat sich der Herstellungsprozess von Hartmetall weiterentwickelt?

Wir haben in 31 Jahren einen kontinuierlichen Wandel von einer Manufaktur in eine industrielle Fertigung vollzogen. Während dieses Transformationsprozesses hat sich vieles verändert: Wir haben heute ganz andere Aggregatgrößen in der Pulveraufbereitung. Außerdem wurde das Strangpressen automatisiert und dadurch viel produktiver. Die Entwicklung des Unternehmens erforderte außerdem, dass wir im Bereich des Strangpressens neue Plastifikatoren entwickeln mussten. Die Plastifikatoren bewirken, dass die formbare Knetmasse beim Strangpressen wirtschaftlich in engen Toleranzen verarbeitet werden kann.

Eines hat sich nicht geändert: Sie sind seit Beginn der Hartmetallfertigung in Berlin dabei.

Ich bin vor 32 Jahren zunächst in der Schnellstahlfertigung und dann beim Hartmetall gelandet, als Dr. Jörg Gühring in die Fertigung von eigenem Hartmetall in Berlin investierte. Als studierter Werkstofftechniker war das eine sehr interessante Aufgabe für mich und die Chance, hier von Null anzufangen. Das Faszinierende am Hartmetall ist, dass je mehr man über diesen Werkstoff weiß, desto mehr weiß man, dass man nichts weiß. Hartmetall ist jetzt 98 Jahre alt, wenn man das Patent von 1923 als Geburtsstunde nimmt, die erste Sinterung hier im Hartmetallwerk erfolgte 1990. Und doch gibt es immer neue Analysemethoden und Erkenntnisse. Und die Erforschung von Hartmetall reißt nie ab, wie man an den laufenden Veröffentlichungen sehen kann.

Und woran genau wird geforscht? Was sind Trends in Sachen Hartmetall?

Ein schönes Beispiel für Trends ist die weltweite Forschung an alternativen Bindern. Zurzeit ist Kobalt der meistgebrauchte Binder. Kobalt wird aber auch für die Fertigung von Akkumulatoren benötigt, Elektromobilität ist hier das Schlagwort. Weil vorhersehbar ist, dass sich die Kosten dafür immer weiter erhöhen werden, wird seit Jahrzehnten nach Alternativen gesucht. Bisher wurde aber noch keine Materialkombination gefunden, die mit Wolframkarbid und Kobalt mithalten kann. Die Suche geht weiter.

Das Faszinierende am Hartmetall ist, dass je mehr man über diesen Werkstoff weiß, desto mehr weiß man, dass man nichts weiß.

Dr. Arnim Eckert

Leiter F&E Hartmetall, Gühring

Wie sieht es mit der Nachhaltigkeit im Hartmetallbereich aus, Stichwort Recycling?

Recycling von Hartmetall ist schon lange ein Bestreben. Speziell in den vergangenen 15 Jahren hat das Thema enorm an Bedeutung gewonnen, weil man Versorgungssicherheit herstellen und nicht von irgendwelchen Minen abhängig sein will. Deshalb ist unter Hartmetallherstellern nicht die Frage, ob recycelt wird, sondern wie hoch die Recyclingquoten sind. Bei Gühring haben wir eine sehr hohe Recyclingquote.

Haben Werkzeuge aus recyceltem Hartmetall eine geringere Qualität?

Nein, bei uns nicht. Die Qualität hängt vom Recyclingverfahren ab. Man unterscheidet direktes und chemisches Recycling. Hartmetall, das aus chemisch recyceltem Material hergestellt wird, und Hartmetall aus Erz sind faktisch nicht zu unterscheiden. Das liegt daran, dass man in die Prozesskette der Wolframkarbidherstellung hineingeht und die Verarbeitung anschließend die Gleiche ist, wie bei Wolframkarbid aus Erz. Gühring verwendet nur chemisch recyceltes Hartmetall, also nur das Premiumprodukt.

Ein weiterer Trend ist die additive Fertigung. Welche Chancen bietet diese Technologie?

Die additive Fertigung ist nicht nur ein Trend, das ist ein richtiger Hype. Ich habe es in den vergangenen Jahrzehnten nie erlebt, dass sich die Hartmetallforschung derartig mit einem Thema beschäftigt. Auch bei Gühring wird intensiv am 3D-Druck gearbeitet. Bei der Entwicklung neuer Verfahren setzen wir auf Partnerschaften und arbeiten mit Universitäten und Instituten zusammen. Es existieren verschiedene Möglichkeiten, Hartmetall zu drucken, die sich aber noch eher auf den Labormaßstab beschränken als auf industrielle Anwendungen. Die Geometrie zu drucken, ist kein Problem. Die Mikrostruktur der Hartmetalle muss aber noch optimiert werden. Es haben sich bislang Verfahren herauskristallisiert, mit denen man sogenannte Grünlinge aus Hartmetall fertigt, die anschließend noch gesintert werden müssen. Von Bedeutung ist die additive Fertigung vor allem im Prototypenbau oder beispielsweise bei der Produktion von Pressmatrizen, die komplexere Kühlkanäle enthalten und deshalb nicht auf konventionelle Weise gefertigt werden können.

Warum ist das Hartmetall so ein wichtiger Faktor bei Zerspanungswerkzeugen und was macht gutes Hartmetall aus?

Hier sollte man sich anschauen: Was bestimmt die Qualität eines Zerspanungswerkzeugs? Da würde ich vier Faktoren nennen: Geometrie, Schneidenmikrogeometrie, Beschichtung und Hartmetall. Wenn eines dieser qualitätsrelevanten Merkmale nicht funktioniert, taugt das ganze Werkzeug nichts. Insofern ist Hartmetall nicht der einzig relevante, aber ein entscheidender Faktor. Das Spannende an der zerspanenden Fertigung ist die Individualität, die verschiedene Zerspanungsaufgaben erfordern. Beim Reiben haben wir sehr hohe Härteanforderungen an das Produkt und beim Bohren auf einer Drehmaschine haben wir hohe Zähigkeitsanforderungen. Das sind eigentlich gegensätzliche Forderungen und die erfordern dann unterschiedliche Hartmetalle.

Verschiedene Hartmetall-Stäbe mit inneren Kühlkanälen

Zum Gühring-Hartmetall-Portfolio gehören Rohlinge in unterschiedlichsten Abmessungen, mit und ohne innere Kühlkanäle.

Wie sieht das aktuelle Leistungsangebot von Gühring in Sachen Hartmetallsorten aus?

Aktuell bieten wir rund 35 Hartmetallsorten an. Teilweise gibt es dafür verschiedene Durchmesser, Teilkreise und Kühlkanäle mit unterschiedlichen Winkeln. Am häufigsten werden unsere Hartmetallsorten mit 10 Prozent Kobalt genutzt, aber auch hier gibt es große Unterschiede. Unsere Hauptsorte, die K460UF, ist sehr beliebt, weil der höhere Anteil an Kobalt zu verbesserten Zerspanungseigenschaften gegenüber den früher üblichen Hartmetallen führt. Wir entwickeln aber auch immer wieder neue Sorten. Treiber sind hier meist die Kollegen aus der Werkzeugentwicklung, die sich die Vorgänge an der Schneide anschauen und bestimmen, ob Hartmetalle mit veränderten Eigenschaften benötigt werden oder ob wir auf bewährte Sorten zurückgreifen. So haben wir unsere neuesten Sorten für Nischenprodukte entwickelt, zum Beispiel Hartmetall, das sich besonders gut für die Mikrobearbeitung rostfreier Stähle eignet oder besonders korrosionsbeständige Sorten.

In welchen Schritt der Hartmetall-Herstellung stecken Sie die meiste Forschungs- und Entwicklungsarbeit?

Die pulvermetallurgische Herstellungskette besteht aus mehreren Prozessschritten: Erst kommt das mechanische Legieren, das wir meist als Mischen, Mahlen oder Pulveraufbereitung bezeichnen und dann wird das Pulver durch unterschiedliche Pressverfahren in Form gebracht. Vor allem die Gleichmäßigkeit des Pulvers ist von außerordentlicher Bedeutung für die pulvermetallurgische Prozesskette. Wenn nur feine Änderungen auftreten, kann das enorme Probleme bei der Hartmetall-Fertigung verursachen. Die heute üblichen sehr feinen Pulver sind außerdem sensitiv für Umwelteinflüsse wie Feuchtigkeit oder Temperatur. Die Erforschung dieser unterschiedlichen Prozessschritte wurde in den letzten Jahren in der Industrie immer weiter vorangetrieben und hier ist auch noch kein Ende in Sicht.

Entscheidend für die Qualität des Hartmetalls: Das Pulver

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